Einige Situationen berühren einen ganz unerwartet. Über eine Begegnung in der Berliner U-Bahn (vor Corona-Zeiten).

Die junge Frau betritt das Abteil an der U-Bahn-Station Schönleinstraße. Sie hat einen dicken Schal um ihr Gesicht gewickelt, trägt eine Mütze und ist kaum zu erkennen. In der Hand hält sie einen fleckigen Plastikhefter mit verschiedenen Zeitungen. Die Ränder sind zerfleddert und der Karuna Kompass, den sie herauszieht, scheint bereits länger in ihrem Besitz zu sein.

Leicht abgehackt, aber mit fester Stimme erzählt sie den anderen Fahrgästen, auf welche Geschichten sie sich in der Ausgabe freuen können. Niemand interessiert sich für ihren Vortrag. Einige heben kurz den Kopf, die meisten aber blicken weiter auf ihr Handy oder starren angestrengt geradeaus, ganz so als sei die junge Frau Luft.

Es ist kein guter Tag. Keine verkaufte Ausgabe, kein Essen, keine Spende. „Da waren meine anderen Kollegen wohl überzeugender als ich“, sagt sie in die ratternde Stille hinein. Die ganze Szene wirkt wie ein einstudierter Tanz, ein hundert Mal performter Auftritt. Monolog in der U-Bahn. Der Höhepunkt kommt zum Schluss.

„Immerhin, zwei Personen haben mich angelächelt, das wärmt mein Herz.“ Die U-Bahn-Tür öffnet sich. „Oder vielleicht hätte es das, wenn sie noch etwas anderes gehabt hätten.“ Die Frau verlässt das Abteil, ihre Worte aber bleiben im Abteil hängen.