Sechs Wochen und drei Tagen. Ganze 45 Tage. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich beim Haarewaschen so lange auf mein Shampoo verzichten kann. Wer jetzt die Nase rümpft und glaubt, ich hätte in Corona-Zeiten meinen Sinn für Hygiene verloren: Hinter der Shampoo-freien Morgenroutine verbirgt sich ein wohl überlegtes Experiment. Denn irgendwann im März hatte mich dazu entschlossen, die Corona-Beschränkungen für etwas zu nutzen, das ich schon lange einmal ausprobieren wollte und auf das Stars wie Adele oder Gwyneth Paltrow bereits seit Jahren schwören: Den No Poo Trend (kurz für No Shampoo).

Körperpflege ist zum Lebensgefühl geworden.

Ganz im Sinne der „No Waste“-Bewegung gehört die No-Poo-Methode zu einer Reihe von Trends im Bereich der Körperpflege, die sich vielleicht am besten unter dem Schlagwort der Nachhaltigkeit zusammenfassen lassen. Es geht um ein neues Bewusstsein, sowohl für den eigenen Körper als auch die Natur. Weniger Chemie, mehr Natürlichkeit. Menstruationstasse statt Tampons. Podusche statt Klopapier. Naturseife statt Duschgel. Bambus statt Plastik. Und jetzt also Wasser statt Shampoo.

Für einen wissenschaftlichen und sehr unterhaltsamen Blick auf das Thema, empfehle ich euch dieses Video von Mai Thi Nguyen-Kim.

Video: MaiLab/YouTube

Die Argumentation der No-Poo-Anhänger folgt einer einfachen Logik: Je öfter man seine Haare mit Shampoo wäscht, desto schneller fetten sie. Der Verzicht auf Shampoo soll die Haare entwöhnen und die Talgproduktion auf dem Kopf normalisieren. Das versprochene Resultat: Haare, die nicht mehr so schnell fetten, trotzdem glänzen und gesund aussehen. Klingt nach einem etwas zu guten Deal – und dem perfekten Corona-Experiment. Ganz Deutschland hat in Jogging-Hose gearbeitet, ich in Zeiten von Corona auf mein Shampoo verzichtet.

Neben den positiven Haar-Effekten verspricht der Shampooverzicht weitere Vorteile: Man spart nicht nur viel Zeit und Geld, sondern tut auch der Umwelt etwas gutes, da der eigene Wasser- und Plastikverbrauch sinken.

Wer sich für die Water-Only-Methode interessiert, kann in diese Folge des Podcasts “Don’t Waste, be Happy” reinhören:

Bei der No Poo-Methode gibt es unterschiedlich extreme Ausprägungen. Die ganz hartgesottenen verzichten komplett auf Wasser und schwören darauf, dass regelmäßiges Kämmen der Haare ausreichend ist. Ich entscheide mich für eine deutlich mildere Variante: Ich wasche meine Haare zunächst ausschließlich mit Wasser und steige nach einer Weile auf natürliche Mittel um, sprich Hausprodukten wie Mehl, Zitrone und Apfelessig. Die einzige Regel, die es letztendlich zu beachten gilt: Konventionelles Shampoo ist für die Haare tabu.

Die haarige Ausgangssituation

Ich habe sehr feine Haare, die dazu neigen, schnell zu fetten. Vor dem No-Poo-Experiment habe ich mir jeden Tag die Haare gewaschen und bin somit die perfekte Kandidatin für das Experiment. Ich beginne das No-Poo-Experiment vor allem, um die Intervalle zwischen dem Haarewaschen zu vergrößern. Auf Parabene und Silikone verzichte ich schon sehr lange in meinen Shampoos, ich verwende ausschließlich hochwertige Shampoos mit natürlichen Inhaltsstoffen, ab und an auch eine Haarseife.

Der Selbstversuch

Die erste Woche ist hart. Ich wasche meine Haare ausschließlich mit Wasser. Bereits an Tag vier droht der Selbstversuch zu scheitern. Ich fühle mich ungepflegt, meine Haare sehen aus, als hätte ich sie in Wachs getaucht. Um nicht direkt zu scheitern, probiere ich verschiedene Flechtfrisuren aus und bin froh, dass ich das Haus nicht verlassen muss. Ich versuche, mich durch das Lesen von Blogs zu motivieren, aber was ich lese, macht mir Angst. Fast alle Hautärzte raten davon ab, auf Shampoos zu verzichten. Sie sprechen von Schuppen, der Möglichkeit, dass sich Pilze bilden und ziehen die Aussagen der No-Poo-Anhänger in Zweifel. Die Lektüre hinterlässt bei mir ein ungutes Gefühl: Tue ich meinen Haaren hier wirklich etwas gutes oder ist die ganze Aktion vielleicht doch einfach nur eklig?

Ein wenig Hoffnung schöpfe ich, als auf ein Video der YouTuberin Niamh stoße. Sie empfiehlt, die Haare mit Kichererbsenmehl zu waschen, als Spülung verwendet sie Apfelessig und Zitrone.

Video: YouTube/Fairyland Cottage / Ausschließlich Wasser zum Haarewaschen zu nutzen, hat bei mir nicht funktioniert. Daher habe ich den Rest der Zeit eine Variation dieses Rezepts hier verwendet.

Als ich mich dazu entschließe, das Rezept selber auszuprobieren, stoße ich auf ein unerwartetes Problem: Die einzige Mehlsorte, die nach den Hamsterkäufen im Supermarkt erhältlich ist, ist Roggenmehl. Also probiere ich es damit. Und stelle schnell fest, dass das keine gute Idee war. Die Paste ist äußerst gewöhnungsbedürftig, vor allem was den Geruch angeht. Der gewünschte Effekt tritt leider auch nicht ein.

In den nächsten zwei Wochen passiert erst einmal gar nichts. Meine Haare fühlen sich weiterhin wachsig an und werden von Tag zu Tag dunkler. Nach zwei Wochen kann ich endlich eine Packung Kichererbstenmehl ergattern und stelle nach dem gleichen Prinzip wie schon beim Roggenmehl meine eigene Paste her. Meine Erwartungen sind hoch, aber auch hier bin ich nach der ersten Verwendung eher enttäuscht. Erst in Woche drei nach wiederholter Nutzung beginne ich langsam, gang ganz langsam, eine Veränderung festzustellen. Meine Haare sehen weniger fettig aus. Das wachsige Gefühl bleibt jedoch.


Gerade der Umstieg ist schwer und natürlich ist die Erfahrung für jeden anders. Hier findet ihr daher einen anderen Erfahrungsbericht und nützliche Tipps für den Umstieg.


Ermutigt von den ersten Erfolgen beschließe ich, eine feste Waschroutine einzuführen. Alle drei bis vier Tage wasche ich mir ab Woche vier abwechselnd ausschließlich mit Wasser und der Kichererbsen-Paste die Haare. Um ehrlich zu sein, glaube ich zu dem Zeitpunkt jedoch nicht mehr daran, dass das No-Poo-Experiment und ich noch Freunde werden. Denn für eine weitere Begleiterscheinung des Experiments finde ich einfach keine Lösung: Den unangenehmen Geruch.

In Vorbereitung auf das Experiment habe ich häufig davon gelesen, dass vor allem in der Anfangsphase ein “würziger”, “strenger” Geruch auftreten kann. Auch meine Haare bzw. mein Kopf riechen mittlerweile anders. Ein wenig talgig, nach Kichererbsenmehl. Mit jedem Tag vermisse ich meine gut duftenden Shampoos ein bisschen mehr. Die YouTuber-Brigade empfiehlt ätherische Öle, also probiere ich auch das, wirklich helfen tut es jedoch nicht.

Liegt das Geheimnis vielleicht wirklich darin, einfach lang genug durchzuhalten?

Nach vier Wochen passiert ein kleines Wunder: Ich wasche mir die Haare mit meiner selbstgerührten Kichererbsten-Paste und bin zum ersten Mal seit Beginn des Experiments zufrieden. Meine Haare fühlen sich leicht an und sehen nicht so aus, als würde ich gerade vom Joggen kommen. Ich kann es kaum glauben. Liegt das Geheimnis vielleicht wirklich darin, einfach lang genug durchzuhalten?

Die nächsten zwei Wochen bestätigt sich der Erfolg: Direkt nach der Kichererbsen-Wäsche fühlen sich meine Haare gut an. So richtig zufrieden bin ich dennoch nicht. Meine Haare verändern sich und ja, ich sehe nicht mehr aus, als hätte ich eine ganze Tube Gel in den Haaren. Trotzdem, ich kann es nicht anders beschreiben, geben meine Haare ein recht trostloses Bild ab. Ich habe mir gesunde, kräftige Haare gewünscht, die nicht bereits nach einem Tag anfangen, fettig zu sein. Stattdessen liegen meine Haar flach am Kopf, fühlen sich rau und strohig an, sehen kraft- und trostlos aus. Hinzu kommt, dass ich nach zerhackter Kichererbse rieche. Da hilft auch kein Zitronenspritzer, keine Aromatherapie, mein Kopf riecht nach Kichererbse. Und zwar penetrant. Ein Zustand, der für mich auf  Dauer nur schwer zu ertragen wäre.

In den ersten Wochen helfen nur Flechtfrisuren oder hoch gesteckte Haare.

Während meines Experiments bemerke einen seltsamen Effekt: Je länger ich mir die Haare nicht wasche, desto größer wird mein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, es doch zu tun. Jetzt habe ich schon so lange durchgehalten, länger als ich selber jemals gedacht hätte, soll ich das wirklich mit einem Mal Haarewaschen aufgeben? Nur noch eine Woche länger, sage ich mir und irgendwo ist auch mein Ehrgeiz ist geweckt. Durchzuhalten. Auf ein Haarwunder zu hoffen. Aber wenn ich in den Spiegel schaue und ich mir die Haare mal wieder zu einem Knoten zusammengebunden habe, damit man nicht sieht, wie nötig sie eigentlich eine Dusche haben, frage ich mich: Warum eigentlich? Immer wieder schwanke ich zwischen den Extremen: Ist das jetzt eklig oder ist der Verzicht auf Shampoo das gesundeste, was ich seit langem für meine Haare gemacht habe? Es ist eine Frage, die ich bis zu letzt nicht beantworten konnte.

Haarewaschen ohne Shampoo – Mein Fazit

So verlockend die Geschichten der No-Poo-Anhängerinnen auch klingen, mich persönlich überzeugt der Haartrend nicht. Die Skepsis, die ich von Beginn an hatte, bleibt. Zeitersparnis hin oder her, ob ich mir die Haare jetzt mit Kichererbsenpaste wasche oder einem Shampoo, in dem ausschließlich pflanzliche Inhaltsstoffe stecken, irgendwie erscheint mir das Ganze nicht mehr sinnvoll. Dass ich mich trotzdem vor mir selbst rechtfertigen muss, ein Shampoo zu benutzen, gefällt mir nicht. Und am Ende des Tages geht es letztendlich doch darum, sich selber wohl zu fühlen.

Ab Woche drei sehen die Haare schon etwas besser aus. So richtig zufrieden bin ich aber immer noch nicht.

Und deshalb ist es an Tag 46 Meines Selbstversuches Schluss: Nach sechs Wochen und drei Tagen gebe ich auf. Ich habe mir ein neues Shampoo gekauft, organic, frei von Parabenen, Sulfaten und allem, was schlecht für meine Haare ist. Und was soll ich sagen: Nach der ersten Shampoo-Wäsche geht es mir besser. Das Shampoo macht, was es machen soll und endlich ist dieser fiese Kichererbsengeruch verschwunden. Was ich also aus meinem Selbstversuch mitnehme? Man muss nicht jeden Haartrend ausprobieren. Seltener Haare waschen geht auch mit Shampoo. Und wer weniger Plastik verwenden will, sollte sich an Haarseifen ausprobieren oder vielleicht sein eigenes Shampoo herstellen.