Die einzige Konstante ist Schokolade

In diesen Tagen, in denen das Jahr 2015 noch unverbraucht, glitzernd und verheißungsvoll raschelnd vor uns liegt wie vor kurzem noch die Geschenke unter dem Tannenbaum, werden wie jedes Jahr die unausweichlich guten Vorsätze gemacht und es festigt sich der unbedingte Glaube daran, dass im neuen Jahr nun aber wirklich mal alles besser wird.

Befand man sich vor Silvester noch in einer seltsam-melancholischen Stimmung, die einen dazu brachte,eine Bilanz zu ziehen, was in den vergangenen zwölf Monaten gut und vor allem was nicht so gut lief und wo man sich denn nun eigentlich in seinem eigenen Leben befand, ist man in den ersten paar Tagen (nie wieder so sehr wie in der Silvesternacht!) des neuen Jahres geradezu berauscht von dem Gedanken, in der kommenden Zeit über sich selbst hinauszuwachsen. Jeden zweiten Tag laufen gehen, Bäm! Mindestens einmal pro Woche mit den Großeltern telefonieren, Bäm! Abgetragene Klamotten spenden, statt sie immer tiefer in Schrank und Schubladen zu stopfen, Bäm! Bäm, bäm, bäm! Es ist ein wahres Feuerwerk der guten Gedanken und Pläne! Nur blöd, dass nicht selten Mitte-Januar der fiese Katzenjammer folgt und man sich eingestehen muss, dass neue Turnschuhe noch keine Sportfigur machen, ein Sparschwein keine Garantie für bewusste Einkäufe ist und eine neue Liebe nicht durch den Briefkasten flattert. Es ist doch schließlich so: Am Ende des Monats ist die einzige Konstante Schokolade.
Keinem einzigen guten Vorsatz konnte ich bislang so treu bleiben wie ihr, wären wir verheiratet, könnte man mit Fug und Recht wohl von einer Ehe mit Vorbildfunktion sprechen: Ständig sorge ich dafür, in ihrer Nähe zu sein, ich stelle sie Freunden wie Kollegen mit Stolz vor, aber genieße ebenso die ruhigen Stunden zu zweit. Sie ist wie eine beste Freundin, die sich um mich kümmert, wenn es mir nicht gut geht oder die mir sogar noch die schönen Momente versüßen kann. Sie ist wie ein aufregender Flirt, der sich jedes Mal neu erfindet: Mal tritt sie in Kombination mit salzigem Caramell, mal mit Himbeeren und Mascarpone auf. Sie wagt neues und zieht Schweinebraten ebenso wie Windbeutel in ihren Bann.

Leider ist es nicht leicht, in allen Bereichen seines Daseins solche Konstanten zu finden, Leben und Lieben verändern sich radikal und immerzu: So befand ich mich in der kürzlich verbrachten Silvernacht wie auch in dem Jahr zuvor an der gleichen Stelle um Mitternacht am Hafen, meine Augen sahen den gleichen Himmel und die gleichen Szenarien (knutschende Paare, betrunkene Geständnisse, entschlossene Bekenntnisse), eine Hand drückte ich nun zum dritten Mal in Folge, aber eine andere fand erst vor Kurzem wieder zu mir.
Im vergangenen Jahr wusste ich zum gleichen Zeitpunkt nicht, was auf mich zukommen würde – hätte ich es gewusst, wäre ich wohl vor lauter Angst nicht aus dem Haus gegangen. Vieles war schwer und mühsam: Zwischentöne aushalten, Niederlagen aktzeptieren, ein neue Heimat finden und ein neues Leben lieben lernen, dann das Alte zurückgewinnen, entdecken, wie weh das Herz tun kann – vor Schmerz und auch vor Glück -, dankbar sein, dass man das alles erleben durfte, aber auch froh sein, unter all dem Wahnsinn einen Schlussstrich ziehen zu können.
Rückblickend sind es wohl vor allem harten Zeiten, die es einen ermöglichen, sich selbst besser kennenzulernen und einen neuen, ehrlicheren Blick auf sich selbst und sein Leben zu werfen. Ich habe für meinen Teil in den vergangenen zwölf Monaten gelernt, dass es gut sein kann, im Supermarkt des Lebens über den Einkaufswagen hinauszuschauen und sich seine Neugierde auf das gesamte Sortiment zu bewahren, aber dass manchmal die geliebte Vollmilchschokolade trotzdem besser ist als jeder neue Cookies’n’Cream&Salt&Pepper&Strawberry-Schokoriegel und wie wertvoll es ist, wenn man spürt, dass man nach einer Zeit der Aufs und Abs nun wieder ganz bei sich ist und aus diesem Gefühl der inneren Sicherheit anstehende wichtige Entscheidungen treffen kann.

Statt neuen guten Vorsätzen gibt es in diesem Jahr daher ein Plädoyer zu mehr Besinnung auf das Wesentliche: Vor allem Dinge tun, die glücklich machen (oder wirklich gemacht werden müssen), mehr bewegende Filme sehen und mehr Musk hören, die berührt, nur Neues wagen, bei dem das Herz wirklich doppelt so schnell schlägt, nur diesen einen Mann küssen und das immer wieder, Zeit den Menschen schenken, die ebenso dazu bereit sind zurückzugeben, keine Angst vor wildem Wellengang haben, sondern sich mit voller Wucht in die Flut stürzen! Und vor allem: Immer eine Tafel Schokolade bei sich tragen.

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